Ich hörte es schon früher während meiner Arbeit in der Kita oft. Eltern, die sich beklagten, dass ihre Kinder nicht oder nur sehr schwer in die Entspannung finden können. Und ich verstehe den Leidensdruck – wie anstrengend es sein kann, wenn das Kind gefühlt den ganzen Tag wie ein Flummi durch die Gegend hüpft, der Geräuschpegel konstant hoch ist und man dadurch selbst kaum zur Ruhe findet. Früher habe ich den Ansatz verfolgt, das Entspannungsangebot anzupassen. Zu schauen welche Form von Entspannung dem Kind zusagt.
Heute gehe ich anders an das Thema heran – das Angebot bleibt nach wie vor wichtig – aber meiner Erfahrung nach sind es andere Faktoren, welche die Kinderentspannung in erster Linie beeinflussen. Meine heutige Sichtweise hat viel mehr mit Nervensystemen, Erwartungen und familiären Dynamiken zu tun.

Warum Kinder heute häufiger als „getrieben“ erlebt werden
Bevor ich auf meine Impulse eingehe, möchte ich dir meine Gedanken und Wissen, dass euch als Familie bei der Entspannung helfen können, mit auf den Weg geben.
Es wirkt, als würden die Kinder in der heutigen Zeit getriebener sein als heute. Ich denke, dass das durchaus zutrifft. Und in meinen Augen spielen da viele verschiedene Faktoren eine Rolle.
- Kinder erleben heute eine Welt voller Reize
– Permanente Hintergrundgeräusche
– Digitale Reize (Auch indirekt durch die Eltern)
– Schnelle Situationswechsel
– Zeitdruck im Alltag
– Weniger echte Leerlaufphasen
– Stärkere strukturierte Tagesabläufe
Neurobiologisch bedeutet das: Das kindliche Nervensystem ist in viel kürzeren Abständen zwischen Reizaufnahme und Reaktion untwegs. Das kostet viel Regulation und führt bei Kindern zu sichtbarer, innerer Spannung.
- Kinder erleben weniger „echtes“ freies Spiel
– Es gibt vermehrt angeleitete Aktivitäten
– Die Kinder besuchen immer früher Förderangebote
– Viele Familien hechten von Termin zu Termin
– Die Gesellschaft hat hohe Erwartungen an die Kinder in Bezug auf Konzentration und Verhalten
Freies, selbstbestimmtes Spiel ist eines der stärksten Regulierungswerkzeuge für Kinder. Heute werden sie oft durch die oben genannten Punkte ersetzt, was ihnen eine wichtige Möglichkeit zur Selbstregulation nimmt.
- Unsere Erwachsenenenergie überträgt sich auf die Kinder
– Durch unseren Atemrhytmus
– Durch unsere Bewegungsmuster
– Durch unsere Stimmlage
– Dadurch, wie präsent wir sind
– Durch unsere Körperspannung
– Durch unsere mikromotorischen Signale
Kinder sind biologisch darauf programmiert, ihr Nervensystem über Bezugspersonen zu regulieren – dieser Prozess nennt sich Co-Regulation. Er ist wissenschaftlich gut belegt und zentral für die kindliche Entwicklung.
Sind Eltern gestresst, überreizt oder im Kampf-oder-Flucht-Modus, dann nimmt das kindliche System diese Frequenz mit – nicht als Schuldzuweisung, sondern als tief verankerten Überlebensmechanismus.

Warum Entspannung für Eltern selbst oft kaum möglich ist
Viele Eltern fühlen sich schlecht, weil sie wissen, dass sie „eigentlich entspannter sein sollten“. Ich kenne diese Gedanken und gleichzeitig will ich betonen dass es nicht immer nur an den Eltern selbst liegt. Denn heute haben Eltern:
- Oft zu wenig soziale Unterstützung
- Oft eine zu hohe mentale Last
- Zu viele parallele Aufgaben
- Zu wenig echte Pausen
- Zu wenig Schlaf
- Ständig offene To-Do’s im Kopf
- Permanente Unterbrechungen
- Kaum Nervensystem-Entlastung
Natürlich können wir als Eltern sehr viel selbst ändern. Unsere Eigenverantwortung ist hier angezeigt, aber ich weiss dass es ebenfalls strukturelle Probleme sind die eine Änderung erschweren können.
Durch diese vielen überlappenden „Problembereiche“ führen dazu, dass Eltern oft in einer chronischen, erhöhten Grundaktivierung leben. Und wer selbst kaum runterfahren kann, kann nicht entspannt wirken. Selbst dann nicht, wenn äusserlich Ruhe gezeigt wird.
Wenn ein Elternteil funktioniert, aber innerlich auf Alarm ist, spürt das ein Kind. Deshalb ist Elternentspannung kein Zustand – sondern ein System. Und dieses System braucht Entlastung.

Meine bisherige Fehlannahme : „Es liegt meistens am Angebot“
Früher dachte ich selber (Ich habe es nicht besser gewusst und ehrlich gesagt schockiert es mich heute, denn ich habe als Fachfrau Betreuung NICHTS diesbezüglich in meiner 3 Jährigen Ausbildung gelernt!) Entspannung klappt bei Kindern nicht, weil das Angebot das Falsche ist oder an folgenden Punkten scheitert:
- Die Aktivität war zu laut/leise/kurz/lang
- Die Fantasiereise gefiel dem Kind nicht
- Das Ritual war nicht stimmig – falscher Zeitpunkt oder nicht Altersgerecht
- Der Raum war nicht perfekt vorbereitet
Und ich habe das auch von vielen Eltern so gehört. Sie suchten den Fehler im Aussen, in der Art und Weise wie sie die Kinder zur Entspannung begleiten wollten. Ich kann all diese Punkte verstehen – wie gesagt, ICH war selbst lange dieser Meinung.
Heute weiss ich aber und das zeigt auch die Forschung:
Kinderentspannung beginnt nicht beim Angebot – sondern sie beginnt beim inneren Zustand der Bezugs- oder Betreuungsperson.
Selbst das beste Ritual, die erfolgreichste Fantasiereise der Welt kann kein dysreguliertes Nervensystem „überschreiben“.
Aber ein gut reguliertes Elternteil kann beinahe jedes Ritual tragen.
Was im Inneren passiert: Ein kurzer Blick in die Neurobiologie
Wir besitzen alle Spiegelneuronen (Sehr verkürzt erklärt, sind dies Nervenzellen im Gehirn, die uns unbewusst spiegeln was andere tun oder fühlen in diesem Kontext). Das bedeutet, dass Kinder automatisch Emotionen und Spannungszustände ihrer Bezugs- und Betreuungspersonen wahrnehmen und adaptieren. Nicht bewusst – sondern oftmals körperlich.
In der Polyvagal-Theorie (Theorie die sich mit dem Nervensystem befasst) spielt der zentrale Vagusnerv eine Schlüsselrolle für Ruhe, soziale Verbundenheit, innere Sicherheit und Regulationsfähigkeit. Wenn Eltern in emotionaler Sicherheit sind, signalisieren sie unbewusst: „Du bist sicher. Du darfst loslassen“.
Wenn ein Kind nicht entspannen kann, kann dies mehrere Dinge zeigen. Nicht selten dient ihr Verhalten als Schutzmechanismus.
Es kann sein, dass es durch sein Verhalten versucht Sicherheit herzustellen. Vielleicht kompensiert es durch körperliche Bewegung auch innere Spannungen, denn Bewegung kann das Nervensystem regulieren und hilft dabei innere Spannungen und Stress abzubauen,
Je nach Verhalten kann es auch sein dass es sich selbst vor Überforderung schützen möchte oder es hat bisher noch keinen inneren Anker gefunden.
Das Kind macht dabei nichts falsch – es versucht zu überleben.
Und wo beginnt denn jetzt Kinderentspannung?
Meiner Meinung und meiner Erfahrung nach ist dort ein Wendepunkt, wo Eltern beginnen zwei zentrale Dinge zu hinterfragen – nicht aus Schuld, sondern aus Selbsterkenntnis.
- Wie entspannst du eigentlich selbst?
Kannst du ohne Handy da sitzen?
Kannst du ohne Ablenkung atmen?
Kannst du ohne „ich müsste noch…“ in dir sein?
Kannst du kurz in deinen Körper hineinstürzen und ihm zuhören und verstehen? - Welche Erwartungen hast du an „Entspannung“ beim Kind?
Erwartest du, dass das Kind still ist?
Erwartest du, dass das Kind ruhig wirkt?
Erwartest du, dass das Kind sich körperlich wenig bewegt?
Erwartest du, dass es sichtlich entspannt aussieht?
Wenn wir erkennen, dass Entspannung bei Kindern sich sehr unterschiedlich zeigen kann – nicht immer leise, nicht zwingend passiv oder äusserst friedlich. Dann können wir eine andere Perspektive einnehmen und das Thema aus einem anderen Blickwinkel betrachten und angehen.

Was Eltern aus meiner Sicht heute brauchen
Ich bin der Meinung, dass Eltern heute nicht:
mehr Perfektion,
noch mehr Programme,
und nochmals 3 Rituale brauchen.
Sondern:
Die Erlaubnis, selbst Bedürfnisse zu haben und diese auch zu befriedigen.
Sich selbst Raum für echte Pausen erlauben.
Vielmehr Selbstverständnis haben dürfen als in der Selbstkritik festzustecken.
Eltern mehr Wissen über die kindliche Entwicklung brauchen.
Nervensystem-Basics für alle.
Wenn Eltern ihr Nervensystem stärken, Wissen zur kindlichen Entwicklung besitzen und selbst bestmöglich für sich sorgen – dann profitieren Kinder automatisch. Und das ohne, dass man am Kind arbeiten muss.

Fazit
Kinder, die nicht entspannen können, sind kein Problem. Sie sind ein Ausdruck. Wie ein Echo oder ein Signal.
Nicht für Fehler sondern für Bedürfnisse. Für Belastung. Für ein System, das Pausen braucht. Für eine Familie, die mehr Entlastung verdient hat.
Die Gute Nachricht: Es beginnt an einem Ort, den du beeinflussen kannst – bei deiner eigenen inneren Ruhe, deinem Verständnis und deiner Haltung.
Aber nicht durch Druck. Nicht durch Perfektion.
Sondern durch Bewusstsein, kleine Schritte, liebevollem Realismus und echte Selbstfürsorge.
Jetzt, nachdem du den Text gelesen hast. Wie fühlst du dich? Wenn du magst, teile deine Gedanken gerne im Kommentarfeld.
Dein Jeannine

Ich freue mich auf den Austausch mit euch!